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aba-Forum Arbeitsrecht am 22. Februar 2022

28.02.2022

Früher im Jahr als gewohnt (statt im März dieses Mal bereits im Februar), mit einer gewohnt hohen Teilnehmerzahl (mehr als 150 Personen) und zum zweiten (und hoffentlich letzten) Mal in Folge ausschließlich online – das waren die äußeren Rahmenbedingungen des diesjährigen Forums Arbeitsrecht unter der Moderation von Herrn Teslau.

Aktuelle Entwicklungen in der Gesetzgebung

Als erster Referent informierte Herr Thomas Kaulisch, Leiter der Abteilung „Sozialversicherung Alterssicherung“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, über die aktuellen Entwicklungen in der Gesetzgebung. Mit Blick auf den Koalitionsvertrag ging er bei der gesetzlichen Rentenversicherung u.a. auf den geplanten Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung ein, was er als spannendes Projekt bezeichnete, ohne den noch großen Klärungsbedarf unerwähnt zu lassen. Als sehr aufwändig bezeichnete er die Umsetzung des Gesetzes zur Digitalen Rentenübersicht und bedankte sich ausdrücklich für die Unterstützung dieses Prozesses durch die aba. Die verschiedentlich angedachten Staatsfondsmodelle begleite das BMAS mit „Skepsis“. Das Ziel, die Verbreitung der bAV auf freiwilliger Basis weiter zu steigern, setze eine Verbesserung der Rahmenbedingungen voraus, wobei nicht zuletzt eine offene Debatte über das Thema „Generationengerechtigkeit“ geführt werden müsse.

Rechtsprechung des Dritten Senats des BAG zur bAV

Im Anschluss brachte Herr Dr. Bertram Zwanziger, Vorsitzender Richter am Dritten Senat des BAG, den Teilnehmern die aktuelle Rechtsprechung zum Betriebsrentenrecht nahe. Das geschah mit dem Fokus auf Urteile zur Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung (u.a. zur Auslegung von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen), zur Gleichbehandlung (u.a. zur Zulässigkeit einer Höchstaltersgrenze von 55 Jahren), zur Anpassung (u.a. die vom Dritten Senat aufgestellten Grundsätze für Betriebsrentenanpassungen durch Gewerkschaften) sowie zur Insolvenz.

Einjährige kollektive Risikoabsicherung in der bAV: Geht das?

Frau Heike Hoppach und Frau Dr. Judith May gingen in ihrem anschließenden Vortrag der Frage nach: „Einjährige kollektive Risikoabsicherung in der bAV – Geht das?“ Sie berichteten von Gestaltungen in der Praxis, bei denen arbeitgeberfinanzierte Direktzusagen – Leistungszusagen oder beitragsorientierte Leistungszusagen – in Kombination mit Rückdeckungsversicherungen zur Absicherung der Risiken Tod und/oder Invalidität befristet für den Zeitraum von einem Jahr angeboten werden und nahmen eine rechtliche Einordnung vor. Sie legten ihre Einschätzung dar, wonach derartige Befristungen grundsätzlich zulässig seien und erörterten einzelne Aspekte zur Unverfallbarkeit dem Grunde sowie der Höhe nach.

Vermeidung von Einstandsrisiken in den mittelbaren Durchführungswegen der bAV

Als nächste Referentin beschäftigte sich Frau Heide Engelstädter mit der Vermeidung von Einstandsrisiken in den mittelbaren Durchführungswegen der betrieblichen Altersversorgung. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen auf Seiten der Arbeitgeber nicht selten das genaue Wissen um ihre Verpflichtungen bei Erteilen einer Versorgungszusage und deren Konsequenzen fehlt. Dies nahm Frau Engelstädter zum Anlass für eine systematische Darstellung der Risiken in den mittelbaren Durchführungswegen – arbeitsrechtliche, systemische sowie Gestaltungsrisiken – und entwickelte Lösungsstrategien, um derartige Haftungsrisiken zu vermeiden.

Auslegung von Versorgungsordnungen

Nach der Mittagspause war es Herr Prof. Dr. Gregor Thüsing, der mit seinem Vortrag „Auslegung von Versorgungsordnungen“ den zu diesem Zeitpunkt bei den Teilnehmern gelegentlich auftretenden Ermüdungserscheinungen keine Chance gab. Das Thema sei nicht neu – aber grundlegend, das war seine einleitende Aussage, der sowohl grundsätzliche Gedanken (z.B. „Die Regeln der Hermeneutik von Verträgen finden sich nur unvollkommen im Gesetz“, sie „unterscheiden sich von denen der Verträge – und sind alles andere als eindeutig“) als auch aktuelle Hinweise folgten auf eine Reihe von – zumeist, aber nicht ausschließlich – höchstrichterlichen Urteilen, in denen Auslegungsfragen eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Rechtliche Anforderungen an die Gestaltung eines Tarifvertrages zur Umsetzung der reinen Beitragszusage

Es folgte ein Thema von höchster Aktualität: Auch wenn der Abschluss des ersten Sozialpartnermodells immer noch auf sich warten lässt, waren die Teilnehmer gespannt auf die Ausführungen von Herrn Marco Herrmann zu den „Rechtliche(n) Anforderungen an die Gestaltung eines Tarifvertrages zur Umsetzung der reinen Beitragszusage“. Es wurden Einzelheiten zu den obligatorischen sowie den fakultativen Inhalten des Tarifvertrages dargestellt – jeweils veranschaulicht durch Formulierungsbeispiele – sowie die Möglichkeiten der Beteiligung der Tarifvertragsparteien an der Durchführung und Steuerung der reinen Beitragszusage. Darüber hinaus kamen die ersten praktischen Erfahrungen mit der Aufsicht im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zur Einführung und Implementierung der reinen Beitragszusage zur Sprache.

Aktuelles aus der Praxis

Den Auftakt zur abschließenden Runde „Aktuelles aus der Praxis“ machte Herr Prof. Dr. Diller. Er beleuchtete einen vor dem Arbeitsgericht Bochum geführten Rechtsstreit, bei dem es im Jahr 2021 um die Klage auf Neuberechnung einer Betriebsrente ging, die 1986 aufgrund einer Versorgungsordnung von 1977 zugesagt worden war. Vom Status Quo hinsichtlich der Änderung kollektiver Versorgungsregelungen ausgehend stellte der Referent mehrere Thesen für eine Neujustierung auf, darunter die Unvereinbarkeit der Dreistufentheorie mit dem Gebot der Generationengerechtigkeit sowie die Notwendigkeit, die Prüfung der Rechtfertigungsgründe ex-ante vorzunehmen, da eine ex-post-Prüfung allgemeinen Rechtsgrundsätzen widerspreche. Diese Überlegungen mündeten in dem Vorschlag, die 3-Stufen-Theorie zu einer 5-Stufen-Theorie weiterzuentwickeln.

Anschließend trug Herr Theodor Cisch zur „Einschränkung der Invalidenversorgung bei externen Versorgungsträgern“ vor, und zwar mit Blick auf zwei BAG-Urteile. In einem Urteil vom 13.7.2021 (3 AZR 298/20) ging es u.a. um die uneingeschränkte Kontrollfähigkeit der AVB-Klauseln, die Formen der Risikoabdeckung, die Abgrenzung von Arbeitsverhältnis und Invalidenversorgung und Fragen der Gesamtschuld zwischen Arbeitgeber und Versorgungseinrichtung. Ein weiteres Urteil vom selben Tag (3 AZR 153/18) gab Anlass, Einzelheiten von dynamischen Verweisungsklauseln zu erörtern. Abschließend machte Herr Cisch Anmerkungen zu den „Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Versicherung – Musterbedingungen des GDV“ (§ 5 AVBBU).

Im letzten Vortrag referierte Frau Dr. Brigitte Huber über die „Gestaltung des Arbeitgeberzuschusses durch Tarifvertrag“. Anhand eines praktischen Falls warf sie verschiedene Rechtsfragen auf (z.B.: „Kann ein tarifvertraglicher Arbeitgeberzuschuss in einem bestehenden individualvertraglichen Entgeltumwandlungsverhältnis ohne Tarifgrundlage die Entgeltumwandlung reduzieren?“ oder „Wie gestaltet sich die Ablösung bei Entgeltumwandlungsverhältnissen, die auf kollektivrechtlichen Sachverhalten beruhten und nach § 613a BGB individualrechtlich fortgelten?“) und zog für deren Beantwortung u.a. die BAG-Entscheidung vom 18.9.2012 (3 AZR 415/10) und die darin enthaltenen Aussagen zu § 19 Abs. 1 S. 1 BetrAVG (ehemals § 17 Abs. 3 S. 1 BetrAVG) heran.