aba-Forum Arbeitsrecht am 20. Juni 2023 in Mannheim
29.06.2023
Unter der Moderation von Marco Herrmann eröffnete Peter Görgen aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Programm mit einem Überblick über die aktuellen Entwicklungen in der Gesetzgebung. Nachdem er sich zu den Rentenpaketen II und III, den Arbeiten der Fokusgruppe private Altersvorsorge sowie dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz geäußert hatte, ging er auf verschiedene im "Fachdialog Betriebsrente" erörterte Themen ein. Während er dem Vorhaben, im Sinne der Generationengerechtigkeit neue gesetzliche Eingriffs- bzw. Umverteilungsmöglichkeiten zu schaffen, geringe Erfolgsaussichten einräumte, werde aus Sicht des Ministeriums u.a. bei folgenden Punkten der Regelungsbedarf geprüft: Abfindung, betriebliche Optionssysteme, vorzeitiger Betriebsrentenbezug (§ 6 BetrAVG) und neue GRV-Hinzuverdienstregelungen sowie das Arbeitsgerichtsgesetz und bAV/Massenverfahren.
Die Rechtsprechung des Dritten Senats des BAG zur bAV - das Forum fand zeitgleich mit einem Sitzungstag in Erfurt statt - wurde den Teilnehmenden von Dr. Bertram Zwanziger, dem Vorsitzenden Richter am BAG a.D., nahegebracht. Die Entscheidungen enthielten u.a. Aussagen zur Einstandspflicht bei Pensionskassenzusagen, zum Arbeitgeberzuschuss nach § 1a Abs. 1a BetrAVG, zur Mindestehedauer, zu Kapitalwahlrechten des Arbeitgebers, zur Ablösung von Versorgungsordnungen sowie zur Anpassungsprüfung (insbesondere zur Maßgeblichkeit eines Unternehmens im Rahmen eines Konzernverbundes sowie zur Anwendung von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG).
Ein hochaktuelles Thema schloss sich an: Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen und Implikationen für die bAV. Während Heike Hoppach die Grundsätze darlegte, die sich aus dem seit 1. Januar 2023 gesetzlich verankerten Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen ergeben (mit dem Fazit, dass Versorgungssysteme grundsätzlich so umgestaltet werden können, dass bAV auch während des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt wird, wenn dies personalpolitisch gewollt ist), richtete Dr. Tamara Voigt den Fokus auf die Pensionskassen: Hier liegt die besondere Herausforderung darin, dass die Formulierung des § 232 VAG nicht dem nunmehr möglichen Nebeneinander von Arbeitsentgelt und vorgezogener Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht, woraus sich der Wunsch nach einer Neufassung dieser Regelung ergibt.
Nicht weniger aktuell war das Thema der darauf folgenden Diskussionsrunde: Sozialpartnermodelle - Kernbereich und Grenzen der Tarifautonomie. Lutz Mühl (aus Sicht der Arbeitgeber), Prof. Dr. Mathias Ulbrich (aus Sicht der Wissenschaft), Marius Wenning (aus Sicht der BaFin) und Christian Freiherr von Buddenbrock (aus Sicht der Anwaltschaft) nahmen u.a. zu folgenden Fragen Stellung: Welches waren die entscheidenden Herausforderungen bei der Errichtung der ersten Sozialpartnermodelle? Wird die gesetzliche Vorgabe als sachgerecht empfunden, dass es einer Vereinbarung der Tarifvertragsparteien bedarf oder könnte eine Regelung auf Ebene der Betriebsparteien nicht ausreichend sein? Sind Differenzierungsklauseln für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder und/ oder Nicht-Verbandsmitglieder zulässig und darf infolgedessen auch eine Art „Kostenaufschlag“ für diese Kohorten vereinbart werden? Wie kann auch im Vergleich zu bereits bestehenden Altersversorgungssystemen und entsprechend versicherten Mitarbeitenden verhindert werden, dass sich die von den Gewerkschaften teilweise gesehene Gefahr einer „Anpassung“ nach unten realisiert?
Nach der Mittagspause war es Dr. Michael Karst, der es nicht schwer hatte, die Aufmerksamkeit der Zuhörenden zu erlangen mit seinem Vortrag Abgesenkte Beitragsgarantien bei der BolZ. Darin legte er zunächst seine These dar, dass weder Gesetz noch Rechtsprechung einer beitragsorientierten Leistungszusage mit einer Mindestgarantie unterhalb der Beitragssumme entgegen stehen, um dann der Frage nachzugehen, ob es dennoch quantitative Vorgaben für ein Mindestgarantieniveau gibt. In Analogie zu mehreren, durch die Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätzen kam er zu dem Ergebnis, dass auch eine anfängliche Mindestgarantie in Höhe von 75% (äußerstenfalls 60%) der Beiträge innerhalb der BoLZ den rechtlich zulässigen Rahmen nicht verlässt.
Nicht minder spannend war das Thema, dem sich Barbara Schneider und Barbara Wefers widmeten: Rentenanpassung - Teuerungsanpassung versus Nettolohnanpassung. Allein die Struktur der Versorgungsempfänger im Unternehmen Evonik (25.000 Rentenempfänger, 111 verschiedene Versorgungsregelungen, 17 Konzerngesellschaften, 46 Rentner älter als 100 Jahre, frühester Rentenbeginn 1955) machten deutlich, vor welchen Herausforderungen die Praxis bei der Anwendung der Anpassungsregeln steht. Bei dem von den beiden Referentinnen vertretenen Unternehmen ist man daher zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anpassung eines Teilbestandes mit Nettolohnentwicklung zwar möglich, aber bei dem großen, heterogenen Rentnerbestand mit einem sehr großen Aufwand verbunden wäre, sodass auch in Zukunft der Weg der Teuerungsanpassung gegangen wird.
Zwei aktuelle Beiträge aus der Praxis rundeten das Programm ab:
Die Entwicklung der Escapeklauseln des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG wurde von Ralf Klein dargestellt und Dr. Uwe Langohr-Plato erläuterte das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) und dessen Bedeutung für die bAV.