aba-Tagung der Fachvereinigung Pensionskassen 2023
06.11.2023
Die Themenpalette war breit gefächert und spiegelte die dringenden Fragen und Herausforderungen in der Welt der Pensionskassen wider.
Zeitwende an den Finanzmärkten
Nach dem Überblick von Jürgen Rings, Leiter der Fachvereinigung Pensionskassen, Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechst-Gruppe VVaG, Frankfurt, bildete der Vortrag von Dr. Daniel Hartmann (Bantleon) zum Thema „Zeitwende an den Finanzmärkten: Hohe Inflation und weltweites Decoupling“ den Auftakt.
Sein Beitrag lieferte den Teilnehmern wertvolle Einblicke in die aktuellen politischen und strukturellen Entwicklungen in Europa, China und den USA und deren mögliche Auswirkungen auf die Kapitalmärkte und Anlagestrategien. Im Blickpunkt Europa wies Dr. Hartmann auf mehrere Problemfelder hin, wie zum Beispiel die hohen Energiekosten und den Verlust des Verbrennungsmotors als zentraler Wertschöpfungslieferant sowie die strukturellen Herausforderungen angesichts der Abhängigkeiten von Russland (Energieträger, Rohstoffe) und China (seltene Erden, Vorprodukte für Medizin und Elektronik). In Bezug auf Kapitalanlagestrategien unterstrich Dr. Hartmann die Bedeutung des aktiven Anlagemanagements, um mit der Fragmentierung der Weltwirtschaft, dem sogenannten „Decoupling“, und der dadurch zunehmenden Komplexität der Vermögensanlage umzugehen. Obwohl der KI-Sektor bereits hoch bewertet ist, könnten alternative Anlageoptionen wie Unternehmensanleihen, Investitionen in Schwellenländer sowie der Einsatz von inflationsgebundenen Anleihen (Linkers) und Wertsicherungsstrategien attraktiv sein.”
Mögliche Anpassung der Bededeckungsvorschriften
Im Anschluss wurden für Pensionskassen besonders wichtige Fragestellungen im Rahmen des Fachdialogs Betriebsrente vertiefend diskutiert. Günther Weißenfels, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), führte in die derzeitige Rechtslage laut § 127 VAG bezüglich der Zuführung zum Sicherungsvermögen ein. Angesichts der Besonderheiten von Pensionskassen sei der Gedanke „Bedeckung der Leistung“ bei Fälligkeit, der möglicherweise auch zu einer risiko- und ertragreicheren Kapitalanlage führt, nachvollziehbar. Bilanzielle und Solvabilitätsprobleme darf eine Neuregelung aber nicht verursachen. Deshalb arbeitet die BaFin an einem Plan, wie eine Forderung in der Bilanz in qualifizierte Kapitalanlagen umgewandelt werden kann.
Dr. Stefan Nellshen von der Bayer Pensionskasse VVaG, Leverkusen, stellte einen Vorschlag vor, wie die Bedeckungsvorschriften für Pensionskassen angepasst werden könnten. Das Ziel sollte sein, dass die Leistungen zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt ausfinanziert sind. Dr. Nellshen kritisierte, dass das gegenwärtige Aufsichtsregime, das die jederzeitige Bedeckung von Verpflichtungen durch Assets fordert, nicht zum Geschäftsmodell einer EbAV passt. Er schlug eine modifizierte Bedeckungsanforderung vor, welche unter gewissen Voraussetzungen eine temporäre Unterdeckung (zu Buchwerten) über einen definierten Toleranzzeitraum hinweg zulässt. Voraussetzung hierfür soll eine entsprechende „Standby-Vereinbarung“ zwischen der Pensionskasse und einem oder mehreren Trägerunternehmen sein. Diese soll die betreffenden Träger verpflichten, etwaig bestehende Unterdeckungen über den Toleranzzeitraum hinweg zu schließen (falls sie sich nicht durch entsprechende Kapitalmarktentwicklungen von selbst schließen). Dr. Nellshen unterstrich die Bedeutung angemessener Bedeckungsanforderungen und merkte an, dass die finanziellen Mittel in den Pensionskassen zwar verfügbar sein müssen, "aber erst, wenn sie gebraucht werden“.
BaFin-Stresstest für Pensionskassen
Dr. Christoph Kiehn von SOKA-Bau, Wiesbaden, beleuchtete den BaFin-Stresstest für Pensionskassen, der im Vergleich zur Prognoserechnung zwar eine nachlassende, aber nach wie vor große Bedeutung hat. Die Ergebnisse sind aufgrund regelmäßigen Reportings an Aufsichtsrat und BaFin unverändert relevant. Zudem beeinflusst der BaFin-Stresstest die Risikobudgetierung einzelner Assetklassen und ist damit ein Trigger für die konkrete Auslastungsmöglichkeit der Quoten der Anlageverordnung. Daher sollte der BaFin-Stresstest sowohl in seinem grundlegenden Setting als auch in seinen konkreten Berechnungen regelmäßig hinterfragt und auf Angemessenheit geprüft werden. Anstelle einer unreflektierten Zuordnung zum Aktienstress wäre, so Dr. Kiehn, eine durchdachte Zuordnung von Private Equity, Private Debt und Infrastruktur sinnvoller. Pensionskassen sollten mehr Freiheitsgrade bei der Abbildung dieser Investments erhalten.
Eigene Risikobeurteilung (ERB) für das Jahr 2024
Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung war die Eigene Risikobeurteilung (ERB) für das Jahr 2024, präsentiert von Marion Beiderhase und Maxym Shyian von Meyerhole Siems Kohlruss Gesellschaft für aktuarielle Beratung mbH, Köln (MSK). In ihrem Vortrag „Risikobeurteilung (ERB) in 2024 – Herausforderungen und Chancen in unsicheren Zeiten“ wurden Parallelen in den aufsichtsrechtlichen Anforderungen des Risikomanagements unter Solvency II und EbAV II aufgezeigt. Das zentrale Element der ERB ist die Beurteilung des gesamten Finanzierungsbedarfs, unterstrichen die MSK-Aktuare.
Dabei legt die BaFin ein besonderes Augenmerk auf die Auswirkungen der Ergebnisse der ERB auf die Unternehmenssteuerung bzw. die Geschäfts- und Risikostrategie. Davon abgesehen beschäftigen aktuell die Branche der Pensionskassen zwei Themen: die Zinsentwicklung und Nachhaltigkeitsrisiken. Der ansteigende Zins bedeutet eine große Entlastung für Pensionskassen, birgt kurzfristig aber auch Gefahren. Mit Blick auf Nachhaltigkeitsrisiken positioniert sich die BaFin angesichts der Verschärfung klimapolitischer Maßnahmen eindeutig und fordert einen intensiveren Umgang damit. Hierbei ermöglicht das NGFS-Parameterset eine quantitative Analyse der Auswirkung einer erhöhten CO2-Bepreisung.
Leistungsformen bei Pensionskassen – Möglichkeiten und Grenzen
Dr. Rainer Goldbach, Aon Solutions Germany GmbH, München, regte mit seinem Vortrag „Leistungsformen bei Pensionskassen – Möglichkeiten und Grenzen“ zum Nachdenken an. Die einleitende Frage war bei diesem Vortrag: Welche Folgen hatte die Niedrigzinsphase für die Leistungsseite, vor allem, wie kann das Rentenniveau hinsichtlich der Startrente gehalten werden? Eine weitere Frage war zudem: was passiert nach einer anschließenden Erholung des Kapitalmarktes: erholt sich das Überschusspotenzial (hoffentlich), und wie entwickelt sich der tarifliche Rechnungszins? Alternative Leistungsformen anstelle von gleichbleibender bzw. gleichmäßig steigender Rente könnten hier eine Lösung darstellen, wenn Leistungen so vorgezogen werden, dass sich die Charakteristik der beiden Varianten - Flexibilisierung der tariflichen Leistungen (Teilkapitalzahlung in Raten) und der Überschuss-Leistungen - annähert? Allerdings sind bei der Ausgestaltung verschiedener Flexibilisierungsmodelle in der Leistungsphase auch die Grenzen, also die rechtlichen Grundlagen für Pensionskassen mit Bezug zur Leistungsform zu beachten. Hier sind im Einzelnen vor allem zu nennen: Steuerrecht – EStG, Aufsichtsrecht – VAG, Arbeitsrecht – BetrAVG.
Arbeitsrechtliches Update
Während der Tagung standen zudem aktuelle arbeitsrechtliche Themen im Mittelpunkt. Karen Seebach vom BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes, Ralf Klein von der Pensionskasse Hoechst und Thomas Obenberger von Willis Towers Watson boten ein „Arbeitsrechtliches Update“. Frau Seebach beleuchtete die neuesten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und die aktuelle Gesetzgebung zur betrieblichen Altersversorgung. Besonders hervorgehoben wurde der aktuelle Stand des Online-Portals der Digitalen Rentenübersicht und die angekündigten Verordnung gemäß § 13 Abs. 3 RentÜG. Diese bis Ende 2023 erwartete Verordnung soll einen verbindlichen Stichtag für die Anbindung von Vorsorgeeinrichtungen festlegen. Erwartet wird aktuell der 31.12.2024 als Stichtag. Für kleinere Vorsorgeeinrichtungen wären gestaffelte Anbindungen und andere Übergangsregelungen von Vorteil.
Zudem wies Frau Seebach darauf hin, dass seit dem 01.07.2023 durch das PUEG, abhängig von der Kinderanzahl, neue Beitragssätze in der sozialen Pflegeversicherung gelten. Hierbei sind noch einige Fragen ungeklärt, etwa: Wer wird künftig für die Bereitstellung der Kinderanzahl-Informationen an die beitragsabführende Stelle verantwortlich sein? Wie wird das entsprechende Verfahren gestaltet? Und wer ist für die Verzinsung des Erstattungsanspruchs gemäß § 55 Abs. 3d SGB XI zuständig?
Ein weiteres Diskussionsthema war die ab dem 01.01.2023 durch das 8. SGB IV – Änderungsgesetz entfallende Hinzuverdienstgrenze bei Bezug der vorgezogenen Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Hier stellt sich insbesondere die Frage, wie Pensionskassen mit der nun unbegrenzten Möglichkeit des Hinzuverdienstes im Kontext der „Pensionskassendefinition“ gemäß § 232 VAG umgehen sollten. Diese Fragestellung ist bislang nicht endgültig geklärt, was zu Umsetzungsproblemen führt.
Ralf Klein präsentierte die Entwicklung der gesetzlichen Regelung des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG, der sog. Escapeklausel, seit ihrer Einführung und zeigte die zwischenzeitlich vorgenommenen Änderungen des Gesetzgebers auf. Positiv hervorzuheben ist es laut Klein, dass entstandene Unsicherheiten in der Anwendung beseitigt werden konnten. Die neuere Rechtsprechung befasst sich mit der konkreten Ermittlung und Verteilung von Überschussanteilen.
Thomas Obenberger fasste die wesentlichen Aussagen und Vorgaben der Rechtsprechung zur Escapeklausel zusammen. Diese müssen beachtet und eingehalten werden, damit der Arbeitgeber wirksam von der grundsätzlich bestehenden Verpflichtung zur Anpassungsprüfung und -entscheidung befreit wird. Als besonders wertvoll für die Teilnehmer erwies sich ein von Obenberger vorgestellter Leitfaden, der die korrekte Ermittlung und Verwendung der von Pensionskassen generierten Überschüsse thematisiert.
Aktuelle Immobilienmarktentwicklung
Ein Highlight der Tagung war der Vortrag von Brigitte Adam (ENA Experts), Mainz, über aktuelle Immobilienmarktentwicklungen und deren Relevanz für Pensionskassen. Sie betonte, dass Immobilien ein integraler Bestandteil unseres Lebens sind und beleuchtete, wie sich der Markt nach der Pandemie verändert hat. Trotz hoher Baukosten und starker Staatsbeteiligung sind Wohnimmobilien eine attraktive Assetklasse. Sie wies auf spekulative Handlungen hin, die zu Leerstand führen, obwohl Wohnraum knapp ist.
Die Trends zeigen eine Marktstabilisierung und einen geringeren Preisrückgang bei Immobilien. Bei Büroimmobilien zeichnet sich ein Trend zu geringerem Flächenbedarf ab, teilweise aufgrund des vermehrten Einsatzes von Homeoffice. Arbeitgeber stehen vor der Herausforderung, attraktive “Next Generation Offices” zu entwickeln, die modernen Anforderungen entsprechen und ein angenehmes Arbeitsumfeld bieten. Ein zukunftsfähiges Bürokonzept könnte Mietrückgänge verhindern.
Ausblick
Die nächste Pensionskassentagung ist für den 26. September 2024 in Bonn angesetzt