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PensionsEurope Annual Conference 2024

mit Kernfragen der europäischen Rentenpolitik

08.05.2024
Das Podium von links nach rechts: Matti Leppälä (Moderator), Nicolò Brignoli, Steven Janssen, Hansjörg Müllerleile, Eric Bergamin
Das Podium von links nach rechts: Matti Leppälä (Moderator), Nicolò Brignoli, Steven Janssen, Hansjörg Müllerleile, Eric Bergamin

Am 25. April 2024 veranstaltete der europäische Verband der betrieblichen Altersversorgung PensionsEurope seine jährlich stattfindende Annual Conference (siehe auch entsprechende Pressemitteilung). Co-Gastgeber war unser belgischer Partnerverband PensioPlus, entsprechend fand die Konferenz in Brüssel statt. Titel der diesjährigen Veranstaltung war „Good Future for Funded Pensions“. Auf der Agenda fanden sich viele – auch aus aba-Sicht – interessante Themen.

Nach der Begrüßung der 137 Teilnehmer machte der Vorstandsvorsitzende von PensionsEurope Jerry Moriarty auf die an diesem Tag veröffentlichte verbandseigene Publikation „Road to DC: Understanding the Shift“ aufmerksam, in welcher der Übergang von leistungs- zu beitragsorientierten (Betriebs-)Renten in den meisten EU-Mitgliedstaaten analysiert wird. Im Anschluss ging auch Francois Baker (Evershed Sutherland, die den Druck der Broschüren finanziell unterstützt hatten) auf diese Publikation ein und wies darauf hin, dass DC nicht dazu beitragen wird, den Gender Pension Gap zu verringern. Außerdem betonte Baker, dass der Fokus bei der Betrachtung von DC bisher stark auf der Beitragsphase lag – nun müsse verstärkt die Auszahlphase in das Zentrum der Überlegungen gerückt werden.

Steven Janssen (Sigedis) stellte in seinem Beitrag kritisch fest, dass die EU sich immer mehr in nationale Rentensysteme einmischt. Laut Janssen werden dabei allerdings Instrumente und Ziele verwechselt: Die Europäische Kommission unterliegt dem Trugschluss, dass mehr Regulierung zu höheren Renten führt. Rentenpolitik ist ein Prozess der Kompromissfindung zwischen gesellschaftlicher und individueller Verantwortung, der in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich austariert ist. Entsprechend unterscheiden sich die jeweiligen nationalen Rentensysteme nicht nur in Quantität, sondern auch in Qualität (z. B. Funktion der einzelnen Säulen).

Diese nationale Rentenarchitektur wird bei der Regulierung auf EU-Ebene jedoch häufig ignoriert. Als Beispiel für unpassende Regulierung wurde die der Kommissionsvorschlag zu einer Verordnung über einen Rahmen für den Zugang zu Finanzdaten (FIDA) genannt, welcher sich derzeit im Gesetzgebungsprozess befindet. In Belgien wäre der Mehrwert von FIDA äußerst begrenzt, da mit der ersten Säule der Großteil des Alterseinkommens der meisten Bürger ausgeklammert ist und ferner Anwärter und Rentner kaum individuelle Entscheidungen treffen können, bei denen die via FIDA bereitgestellten Informationen weiterhelfen würden. Ein weiteres Beispiel ist das Scheitern des EU-Altersvorsorgeprodukts PEPP, welches mehrere Jahre nach Inkrafttreten der entsprechenden Verordnung erst von einem Anbieter in vier Mitgliedstaaten vertrieben wird. Angesichts der Unterschiede in der Rentenkultur der einzelnen Mitgliedstaaten forderte Janssen die europäischen Regulatoren auf, sich von ihrer „platonischen Sicht“ auf Renten und damit von one-size-fits-all-Ansätzen zu verabschieden.

Petra Hielkema (EIOPA) erkannte in ihrer Rede den hohen Grad der Fragmentierung von Rentensystemen in der EU an, betonte aber, dass alle Mitgliedstaaten vor ähnlichen Herausforderungen wie dem Gender Pension Gap, einem sich ungünstig entwickelnden Rentnerquotienten und der Zunahme von Altersarmut stünden. Angesichts der mit dem Abnehmen des Leitungsniveaus der ersten Säule verbundenen bevorstehenden „Rentenkrise“ seien Reform in allen Säulen notwendig. Laut Hielkema bleibt keine Zeit, die Verbreitung von kapitalgedeckter Altersvorsorge durch einen langwierigen Dialogprozess zu erhöhen, entsprechend sprach sie sich für automatische Einbeziehung in kapitalgedeckte Rentensysteme der zweiten und dritten Säule, für die sie EIOPA als gleichermaßen zuständig sieht, aus. Außerdem seien online Tracking Systeme wichtig, die den Bürgern einen Überblick über ihre Anwartschaften in allen drei Säulen geben. 

Damit auch die Mitgliedstaaten einen Überblick über die unterschiedlichen Alterssicherungssysteme in der EU und ihren jeweiligen Handlungsbedarf erhalten, hat EIOPA ohne Auftrag basierend auf allen verfügbaren Daten bzw. Schätzungen Renten-Dashboards für die kommende EU-Kommission erstellt. Mit Blick auf die EbAV II-Überprüfung erwartete sie keine grundlegenden Änderungen der Richtlinie, allerdings werden Altersversorgungseinrichtungen auch angesichts des Gender Pension Gaps ein größeres Augenmerk auf Diversität in ihren Gremien legen müssen. Ferner wird im Bereich der Nachhaltigkeit doppelte Materialität beachtet werden müssen. Hielkema erkannte die große Vielfalt von DC-Systemen in den Mitgliedstaaten an, betonte aber, dass die Veröffentlichung von Kosten und Gebühren dennoch wichtig sei, da sie einen disziplinierenden Effekt auf die Altersversorgungseinrichtungen hätte. Abschließend bemerkte die EIOPA-Vorsitzende, dass sie erwartet, dass die neue EU-Kommission den Schwerpunkt eher auf die Implementierung bestehender Regulierung statt auf neue Gesetze legen werde und kündigte eine EIOPA-Opinion zum Thema Greenwashing an.

Martin Spolc (EU-Kommission, DG FISMA) kündigt an, dass der „regulatorische Tsunami“ der vergangenen Wahlperiode sich in den kommenden Jahren nicht wiederholen werde. Aktuell werden daher von der EU-Kommission auch eher praktische Workshops statt großer Tagungen organisiert. Ein Erfolg sei, dass die Taxonomie genutzt wird: 20 Prozent des investierten Kapitals sind entsprechend zuordenbar. Künftig werde die EU-Kommission KMU intensiver einbinden. Außerdem kündigte der Referatsleiter Sustainable Finance an, größeres Augenmerk auf die Finanzierung der Transition sowie eine Fokussierung der Debatte auf Impact (statt Compliance) an. Es sei wichtig, früh Input für die neue Legislaturperiode zu geben. In der anschließenden Diskussionsrunde ging es unter anderem darum, dass es zu Problemen in der Außendarstellung führt, dass viele Investitionen nicht gemäß der Taxonomie-Verordnung zugeordnet werden können und daher mit sehr geringen Quoten an die Öffentlichkeit gegangen werden muss.

Uli Grabenwater (EIF) thematisierte in seinem Vortrag die Rolle von Private Equity und Venture Capital, welche er als Quelle für den künftigen Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit der EU sieht. Die größten Fondsgesellschaften sind nicht in der EU ansässig. Die Veränderung des Zinsumfeldes hat zu geringerer Nachfrage nach Private Equity und Venture Capital geführt, allerdings bieten diese Assetklassen Vorteile mit Blick auf die Diversifikation von Portfolien. Aktuell kommt das entsprechende Kapital für EU-Unternehmen größtenteils aus Asien und den USA.

In der anschließenden Podiumsdiskussion zu diesen beiden Assetklassen vertrat Kai Wallbaum (Allianz GI) den Standpunkt, dass Private Markets eine der erfolgreichsten Assetklassen der letzten 20 Jahre sind. Diane Griffoen (PGGM) merkte an, dass einige Technologien sehr nachhaltig, aber noch nicht profitabel sein. Hier würde eine Einpreisung externer Effekte helfen. Michael Brehm (Redstone) merkte an, dass Venture Capital bei breiter Allokation nicht sonderlich riskant sei. Grundsätzlich beeinflussen Altersversorgungseinrichtungen mit ihrer Kapitalanlage, wie Europa sich zukünftig entwickeln wird. Jan de Smet (OFP, PensioPlus) betonte, dass kleine Einrichtungen kleine Ticketgrößen sowie staatliche Garantien benötigen.

In der darauffolgenden Podiumsdiskussion zu den Prioritäten für die neue Legislaturperiode der EU betonte Nicolò Brignoli (Europäische Kommission, Member of Cabinet of Executive Vice-President Valdis Dombrovskis), dass privates Kapital zur Erreichung der politischen Ziele (z.B. Green Deal, seit COVID und dem Krieg in der Ukraine verstärkt auch die Erhöhung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft) der EU notwendig ist. Dementsprechend muss die Kapitalmarktunion vorangebracht werden, auch die Verbreitung kapitalgedeckter Alterssicherung steht auf der politischen Agenda. Zudem stelle sich weniger die Frage nach mehr oder weniger Regulierung, sondern primär um richtige Regulierung. Hansjörg Müllerleile (MetallRente) entgegnete, dass für Altersversorgungseinrichtungen die Erfüllung ihrer Pensionsverpflichtungen oberste Priorität hat, nicht die Erfüllung der politischen Ziele der EU. Er bekräftigte, dass auf EU-Ebene häufig Instrumente mit Zielen verwechselt werden. Der angekündigte Fokus der Kommission auf Implementierung bestehender Regulierung sei richtig. Zudem forderte Müllerleile für die Altersversorgungseinrichtungen mehr Konsistenz zwischen Arbeits- und Sozialgesetzgebung einerseits und Finanzmarktregulierung andererseits. Entsprechend sollte die Generaldirektion EMPL zukünftig stärker in die Rentenregulierung einbezogen werden. Steven Janssen (Sigedis) bemerkte, dass die Ursache geringer Renten weder die zu geringen Wahlmöglichkeiten der Anwärter oder die Qualität der vorhandenen Produkte, sondern ein zu geringes Einkommen in der Erwerbsphase des Lebens seien. Wichtig sei, dass die EU-Kommission aufhöre, Problem zu suchen, die zu ihren Lösungen passen. Eric Bergamin (Eversheds Sutherland) gab zu bedenken, dass paneuropäische Rentenprojekte nicht funktionieren werden. Richtig sei stattdessen eine EU-Minimalharmonisierung wie über die EbAV II-Richtlinie. Zudem habe der Lamfallussy-Prozess zu Regulierungsmonstern geführt.

Prof. Yves Steven (KU Leuven) ging in seinem Beitrag auf die unterschiedlichen Arbeitsmärkte und die damit verbundenen unterschiedlichen Rentenkulturen in den EU-Mitgliedstaaten ein. Selbst vermeintlich sehr technische Vorschläge von europäischer Ebene betreffen zum Teil ethische Fragen bezüglich Sicherheit und Solidarität. Insofern sei „mehr Europa“ keine geeignete Antwort auf die Rentenprobleme der Mitgliedstaaten, zumal die politische Situation in den Mitgliedstaaten sich geändert habe und es angesichts der sich abzeichnenden bzw. bereits vorhandenen Mehrheiten bestenfalls um einen Erhalt von Europa geht. Transeuropäische Rentenprojekte wie das EU-Altersvorsorgeprodukt PEPP oder grenzüberschreitend tätige EbAV, auf denen trotz sehr geringer Relevanz ein großer Fokus der Kommission liegt, waren von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Als genereller Trend sei eine Implosion des Drei-Säulen-Systems bemerkbar, die zweite Säule verliert zu Lasten der anderen an Bedeutung. Grundsätzlich sei zudem ein Trend zur Individualisierung (Verringerung kollektiver Strukturen, mehr individuelle Entscheidungen) feststellbar. Angesichts der alternden Bevölkerung in der EU wird Kapitaldeckung immer wichtiger – wie der Prozess zum stärkeren Übergang zu Kapitaldeckung ausgestaltet wird, wird aufgrund der unterschiedlichen Rentenkulturen der Mitgliedstaaten aber auf nationaler Ebene entschieden werden müssen.     

Zum Abschluss der Konferenz stellte Dr. Barbara Janta (RPA) eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie zur Zahlung von Beiträgen für bzw. während Sorgearbeit (Kindererziehung, Pflege von Angehörigen) in betriebliche Altersversorgungssysteme vor. Ausgehend von der Betrachtung einzelner Mitgliedstaaten (Deutschland gehört nicht dazu), in denen die Zahlung von entsprechenden Beiträgen grundsätzlich möglich ist, wird in der Studie unter anderem festgestellt, dass gesetzliche Vorgaben wie zum Beispiel die Entgeltfortzahlung betreffend sich direkt auf die Beiträge für Sorgearbeit in betriebliche Altersversorgungssysteme auswirken. Entsprechende gesetzliche Vorschriften legen die Mindestanforderungen fest, die durch Tarifverträge nicht verletzt werden dürfen. Die Regelung der Beitragszahlung in der betrieblichen Altersversorgung entspricht (oder folgt zumindest) der gleichen Logik wie die der Beitragszahlung in den staatlichen Systemen.   

Die nächste PensionsEurope-Jahreskonferenz wird voraussichtlich im April 2025 in Bukarest stattfinden.