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Fachtagung Mathematische Sachverständige: Vorträge und Diskussion im Livestream

29.09.2020
Auf der Bühne: Moderator Stephan Oecking (Mercer) und Dirk Jargstorff (Robert Bosch GmbH, Stuttgart), per Video zugeschaltet: Jürgen Rings (Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechst-Gruppe VVaG)
Auf der Bühne: Moderator Stephan Oecking (Mercer) und Dirk Jargstorff (Robert Bosch GmbH, Stuttgart), per Video zugeschaltet: Jürgen Rings (Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechst-Gruppe VVaG)

Die eTagung der Fachvereinigung Mathematische Sachverständige am 24. September 2020 verschaffte den mehr als 180 Teilnehmern einen aktuellen Überblick über eine breite Palette politischer, rechtlicher und aktuarieller Themen aus der Welt der betrieblichen Altersversorgung.

Sie markierte für die aba zugleich die Premiere eines „hybriden“ Tagungsformats. Die Tagung wurde aus einem Saal der „Motorworld“ in Köln per Webstream an die Teilnehmer übertragen. Ein Teil der Referenten trat live in Köln auf, andere wurden per Videokonferenz digital zugeschaltet. Hierbei kooperierte die aba mit der Deutschen Aktuarvereinigung bzw. dem Institut für Versicherungsmathematische Sachverständige (IVS), die in gleicher technischer Form am Vortag das jährlich stattfindende IVS-Forum durchgeführt hatten.

Schwerpunkt Digitale Rentenübersicht

Als erste Referentin der von Stefan Oecking als Fachvereinigungsleiter moderierten Veranstaltung gab Dr. Natalie Brall vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Überblick über die zentralen Gegenstände des Gesetzentwurfs zur Einführung der „Digitalen Rentenübersicht“: den organisatorischen Rahmen in Form der bei der DRV Bund anzusiedelnden „Zentralen Stelle für die Digitale Rentenübersicht“ und den Prozess der Einführung. Den Zeitplan, Start der ersten Betriebsphase 21 Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, Start des Regelbetriebs im Herbst 2023, bezeichnete Dr. Brall als ambitioniert, aber machbar.

Die von den Versorgungseinrichtungen bereitgestellten Daten sollen als Bruttobeträge (also vor etwaigen Steuern und Abgaben) und differenziert nach erreichten oder erreichbaren Beträgen, nach Kapitalzahlungen oder Renten sowie nach garantierten bzw. prognostizierten Werten dargestellt werden (was mindestens acht unterschiedliche Darstellungsformen ermöglicht).

Dr. Brall zeigte sich zufrieden über die Nutzbarkeit der Steuer-ID als Identifyer und verwies auf eine andauernde politische Diskussion über die künftigen Abfragemodalitäten für Neuzusagen, die auch von der aba in ihrer Stellungnahme kritisch bewertet wurden.

In der Diskussion bekräftigte sie den Grundsatz der Freiwilligkeit für eine Teilnahme von Unternehmen mit Direktzusagen und Unterstützungskassen, berichtete aber auch von bereits eingegangenen Interessenbekundungen aus diesem Kreis.

Dass eine freiwillige Teilnahmemöglichkeit dieser Unternehmen, auf die fast 2/3 der Deckungsmittel der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland entfallen, von vielen Unternehmen geprüft werde und aus deren Sicht auch grundsätzlich wünschenswert sei, bestätigte in seiner Kommentierung aus Sicht der Direktzusage Dr. Dietmar Droste (e.on SE und Leiter der FV Direktzusage bei der aba). Entscheidend für eine Entscheidung zu einer freiwilligen Beteiligung sei, dass diese mit vertretbarem Aufwand möglich sei.

 Ähnlich fiel die Beurteilung durch Thomas Neumann (Unterstützungskasse des DGB e.V.) aus, der außerdem auf Unterschiede zwischen rückgedeckten Unterstützungskassen (bei denen die jährlichen Informationen aus Rückdeckungsversicherungen schon jetzt viele der geplanten Anforderungen erfüllten) und pauschaldotierten  U-Kassen verwies ebenso wie auf Besonderheiten bei durch sein Haus verwaltete abgelöste Altzusagen.

 Insgesamt positiv fiel auch die Bewertung von André Geilenkothen für sein Unternehmen (Aon) aus, das im Vorfeld des Referentenentwurfs für das BMAS gutachterlich tätig war. Bei der in der Umsetzungsphase besonders wichtigen Frage der „Vergleichbarkeit“ habe die Studie (erschienen als BMAS-Forschungsbericht) wichtige Ansätze aufgezeigt, die jetzt vertiefend bearbeitet werden müssen.

 
Corona und Direktzusage bzw. Unterstützungskassen

Susanna Adelhardt (Evonik Industries AG) verdeutlichte anhand von Zahlen die dynamischen Auswirkungen sinkender Rechnungszinssätze auf den Verpflichtungsumfang differenziert nach IFRS und HGB. Vor dem Hintergrund absehbarer Mehrbelastungen durch einen zinsbedingt erhöhten Mehraufwand in Höhe von 81 Mrd. Euro für die deutsche Wirtschaft allein bis Ende 2022 (die steuerlich nach geltendem Recht nicht einmal als Betriebsausgaben geltend gemacht werden könnten) stellte sie die von BDA und IVS am 23. September erhobene Forderung nach einem Zinsmoratorium vor. Danach sollte der HGB-Zins auf dem Niveau des letzten Bilanzstichtags (z.B. 31. Dezember 2019, d.h. bei 2,71%) für die Geschäftsjahre bis Ende 2022 eingefroren werden.

Dr. Henriette Meissner (Stuttgarter Versicherung) zog eine erste Bilanz über die Pandemiefestigkeit von Prozessen in Unternehmen und in der Regulatorik. Angesichts kommender Herausforderungen wie ein erhöhtes Insolvenzgeschehen seien Lösungen für offene rechtliche Fragen erforderlich. Sie empfahl eine Lockerung der körperschaftssteuerlichen Anforderungen für Unterstützungskassen bei der Durchführung von Beiratsversammlungen oder von Beiratsnachwahlen, ferner einen flexiblen Umgang der Finanzverwaltung bei einer nicht vorhersehbaren Beeinträchtigung der Struktur der Versorgungshöhen (sog. „88/8/4-Regel“ gem. § 2 KStDV) sowie bei Darlehensgewährungen der Unterstützungskasse an das Trägerunternehmen. Handlungsbedarf sah Dr. Meissner auch bei Einzelaspekten der Abzugsfähigkeit von Dotierungen an Unterstützungskassen gem. § 4d EStG. Als coronabedingt verschärfte Probleme nannte sie u.a. die Einhaltung von Schriftformerfordernissen, die Ausgestaltung von Nachdotierungen, Überschreitungen des zulässigen Kassenvermögens sowie die Korrektur irrtümlicher Dotierungen aus Entgeltersatzleistungen.

 
Zielrente und Insolvenzschutz für Pensionskassenzusagen

Dirk Jargstorff (Robert Bosch GmbH) berichtete über die Umsetzung des Zielrentenmodells, das bereits im Jahr 2016 mit der „Fondsrente“ im Rahmen des Bosch Vorsorge Plans umgesetzt wurde. Zu dessen Kernmerkmalen zählen eine angestrebte Kapitaldeckung zwischen 100 und 125% und eine Mindesthöhe durch Verrentung des bei Rentenbeginns zur Verfügung stehenden Kapitals mit 0%, für die der Arbeitgeber einsteht. Seit 2016 habe sich die Risikotragfähigkeit im Bereich des Risikopuffers (zwischen 100 und 125% Kapitaldeckung) bewährt. In den durch Stresstests vorgegebenen und verschärften Szenarien hätten Rentensenkungen (nötig bei einer Kapitaldeckung unter 100%) vermieden werden können. Die Steuerungssysteme, die dies möglich machen (Treiber-Matrix, Maßnahmen-Matrix, Steuerungssystem, dynamische Szenarien-Analysen) wurden im Detail vorgestellt.

Jürgen Rings (Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechst-Gruppe VVaG) berichtete über aktuelle Diskussionsergebnisse aus einer Arbeitsgruppe zur Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung des Insolvenzschutzes für Pensionskassenzusagen. An dieser nehmen Vertreter der betroffenen aba-Gremien, des BMAS, des PSVaG und der BaFin teil. Unterarbeitsgruppen widmen sich vier Themen, darunter Vereinfachungsmöglichkeiten beim Meldeverfahren. Hier verwies Rings auf die Gesetzesbegründung zum ergänzten § 11 BetrAVG, demzufolge Arbeitgeber die Pensionskasse mit der Erfüllung der Verpflichtung beauftragen dürfen, was eine Erfüllungsverpflichtung und keine Schuldübernahme darstelle. Rings präsentierte auch erste Ergebnisse der drei weiteren Unterarbeitsgruppen zu Detailfragen der Beitragsermittlung, zu den Modalitäten der Übermittlung von Informationen über Sicherungsfälle sowie über offene Fragen zum Übergangszeitraum bis 1. Januar 2022, innerhalb dessen Insolvenzschutz nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung besteht (§ 30 Abs. 3 BetrAVG).

In der Diskussion vor der Mittagspause wurden kritische Faktoren für den Erfolg der reinen Beitragszusage diskutiert, darunter eine angemessene Kommunikation über das Restrisiko von Rentenkürzungen sowie die noch offenen Fragen bei der gemeinsamen Steuerung und Durchführung. Dennoch zeigten sich Dirk Jargstorff, Dr. Henriette Meissner und Jürgen Rings weiterhin überzeugt von den Potentialen und Stärken der reinen Beitragszusage. Sie biete Aussicht auf mehr Flexibilität, mehr Leistungen und mehr Mitsprache der Sozialpartner, wobei sich die Wichtigkeit des letztgenannten Faktors gerade in der Corona-Pandemie erneut bewiesen habe. Die Zuversicht wurde auch im Publikum geteilt. In einer Liveumfrage gingen 35% der Teilnehmer davon aus, dass die reine Beitragszusage mittelfristig den Durchbruch schaffe und 40% mittelfristig (weitere Antworten: 2% „kurzfristig“, 23% „nie“)

 
Vorträge zur Sterbetafeln und Eingriffen in den Future Service

In einem Vortrag über die Herleitung unternehmenseigener Sterbetafel erläuterte Silja Fichtner (Siemens AG) die Entwicklungsstufen auf dem Weg von einer für Siemens modifizierten Heubeck-Sterbetafel hin zu einer originären eigenen Sterbetafel für ihr Unternehmen. Sie beleuchtete den Einführungsprozess, die Abstimmung mit Prüfern und Finanzbehörden sowie die Vorbereitungen auf in Zukunft anstehenden Aktualisierungen. Christian Viebrock (Mercer) gab Einblick in die Detailprozesse bei der Ermittlung belastbarer Zahlen für Sterbe-, Invalidisierungs- und Verheiratungswahrscheinlichkeiten, die Glättung der erhobenen Werte sowie über die Ableitung von zu berücksichtigenden kurz- und langfristigen Trends.

Rechtliche Möglichkeiten eines Eingriffs in den Future Service vor dem Hintergrund der verfestigten Niedrigzinsphase behandelte Alexander Bauer (Heubeck AG). Er zeigte Entwicklungen in der Rechtsprechung auf, die Eingriffe verstärkt auch bei kollektiven Rechtsbegründungsakte zuließen, richtigerweise aus Sicht von Bauer, da kollektivrechtliche Systeme nicht „erstarren“ dürften. Anhand von Beispielen nannte Bauer anerkannte sachlich-proportionale Eingriffsgründe in künftige Zuwächse (Stufe 3 des Drei-Stufen-Systems): wirtschaftlich ungünstige Entwicklung beim Arbeitgeber, Fehlentwicklungen der bAV in Form unvorhersehbarer Mehrbelastungen und gab differenzierte Einschätzungen für beitragsorientierte Leistungszusagen und Entgeltumwandlungszusagen ab. Er schloss mit einem Petitum für mehr Flexibilität und gegen einen überzogenen Vertrauensschutz für Anwartschaftszuwächse, der die bAV nicht nach vorne brächte und sogar die Generationengerechtigkeit gefährden könne.

 
Aktuelle Stunde mit vier weiteren Kurzvorträgen

Die Nutzung von CTA-Treuhandvermögen durch den Treugeber bzw. Arbeitgeber behandelte Andreas Johannleweling (KPMG). Er stellte verschiedene denkbare Entnahmemöglichkeiten und Instrumente zur Reduktion des Verpflichtungsumfangs und deren Grenzen vor, insbesondere im Hinblick auf die Erhaltung der Anerkennung des betroffenen Vermögens als Deckungskapital. Behandelt wurden neben dem Modell einer Übertragung von CTA-Vermögen auf „gleichwertige Sicherungsmodelle“ auch verschiedene Varianten einer Änderung des Treuhandvertrags mit, je nach Variante unterschiedlichen Regelungen hinsichtlich einer Zustimmung der Begünstigten oder des Treuhänders.

Den aktuellen Stand der Entwicklung eines „Rechnungslegungs-Wiki“, erarbeitet in einer Vorarbeitsgruppe der Fachvereinigung, präsentierte Christiane Grabinski (RZP Beratende Aktuare). Geplant ist eine möglichst offene Plattform, auf der in einer Testphase jedermann die eingestellten Artikel lesen dürfe. Die Berechtigung zur Veröffentlichung neuer Beiträge soll im Sinne einer Qualitätssicherung durch eine Vorprüfung durch eine kürzlich gegründete Arbeitsgruppe moderat eingeschränkt werden. Bewerbungen für eine Mitarbeit in dieser Arbeitsgruppe seien weiterhin möglich. Das Wiki-Tool soll im Ergebnis als hochaktuelles Nachschlagewerk dienen, aber auch Raum für die Diskussion konträrer Ansichten bieten.

Aktuelle steuerrechtliche Fragen präsentierte Dr. Manfred Stöckler (Willis Towers Watson). Aus der Gesetzgebung berichtete er über Verbesserungen bei der mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz eingeführten Geringverdienerförderung (§ 100 EStG) durch das Grundrentengesetz. Aus dem Bereich der Rechtsprechung erläuterte er die jüngste Klarstellung des BFH zu der sog. Kombinationslösung (Auslagerungen von Past-Service auf Pensionsfonds gegen Einmalbeitrag und des Future-Service auf eine U-Kasse), die zu einer Bestätigung der Rechtsauffassung des BMF geführt habe. Vorgestellt wurden auch zwei aktuelle BMF-Schreiben (vom 18.2.2020: Vermögensbindungsgebot bei nicht überdotierten Gruppenunterstützungskassen und vom 19.2.2020: Einkunftsart bei Leistungen des Arbeitgebers aufgrund der Einstandspflicht nach Art. 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG (unveröffentlicht)).

Korbinian Meindl (Prof. Dr. E. Neuburger & Partner) gab einen Überblick über die Entwicklungen seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Az.: 1 BvL 5/18 vom 26.05.2020), das § 17 Versorgungsausgleichsgesetz zwar für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärte, zugleich aber Grenzen für die verfassungskonform möglichen Transferverluste bei der externen Teilung festlegte. Er skizzierte die für Familiengerichte neu entstandene Aufgabe, nämlich zu prüfen, ob die bei einer externen Teilung begründete Rente nach den vom BVerfG genannten Kriterien ausreichend sei. Danach stellte Meindl den aktuellen Bewertungsstand der Arbeitsgruppen von aba und DAV/IVS über den aktuellen Referenten-Entwurf des BMJV für eine Reform des Versorgungsausgleichsrechts vor.

Veranstaltungsteilnehmer können die Vortragsfolien auf der Internetseite in der Rubrik Weiterbildung / Tagungen / Vergangene über die Infobox „Veranstaltungsunterlagen“ mit den in der Anmeldebestätigung übermittelten Zugangsdaten abrufen.